Dienstag, 3. November 2015

Die Martinsgeschichte – was damals im Gänsestall wirklich geschah

Eine Gans erzählt die Martinsgeschichte

Ich bin nur eine Gans und alle Leute sagen immer: „Du dumme Gans“. Vielleicht haben sie Recht. Dafür bin ich allerdings wunderschön. Ich habe weiße Federn und einen schönen Hals. Mit meinem Schnabel kann ich richtig Krach machen. Denn ich liebe es, zu schnattern und unliebsame Lebewesen zu verscheuchen. So wie den Fuchs, der sich manchmal heranschleicht und sich einen von uns holen will. Aber bei uns kommt er nicht weit. Wir schnattern nämlich solange bis der Bauer kommt und den Fuchs vertreibt. Das ist eigentlich ganz schön schlau von uns. Trotzdem denken manche Leute, wir Gänse wären dumm. 

Menschen sind im Gegensatz zu uns ziemlich intelligent. Darum denke ich, dass sie schon wissen, was sie sagen. Denn wieso sollten sie etwas behaupten, wenn das dann nicht stimmt. Wir Gänse sind halt dumm. 

Genauso wie an diesem einen Tag, an dem plötzlich ein wildfremder Mann zu mir und meinen Geschwistern in den Stall kam.  Er war fremd. Wir kannten ihn nicht. 
Wir merkten aber schnell, dass er Angst hatte. Deshalb versteckte er sich hinter einem hohen Holzstapel. Wir haben ihn aber trotzdem gesehen. 
Zwei meiner Schwestern meinten: „Das geht nicht, dass da ein fremder Mann ist.“ 
Meine Brüder gackerten: „Nur die Ruhe, nur die Ruhe“. 
Und ich gab auch noch meinen Senf dazu: „Ich hab Angst vor diesem Mann.“ 
Da fiel einer meiner Schwestern etwas ein: „Vor kurzem hat der Bauer von einem Mann erzählt. Der heißt Martin. Weil er zu allen Menschen freundlich ist und sogar den Armen hilft, soll er Bischof werden. Aber alle sagen, dass er das nicht will. Ich glaube, dass das dieser Mann ist. Er will kein Bischof werden. Niemals. Deshalb versteckt er sich jetzt sogar bei uns. Vielleicht will er ja lieber eine Gans werden, anstatt in einem Bischofspalast zu leben und teure Gewänder zu tragen.“ 
„Du bist doof,“ schnatterten meine Brüder. „Dieser Martin ist bestimmt froh, wenn er nicht mehr bei uns wohnen muss. Dann darf er nämlich nach Tours ziehen. Dort ist es viel schöner, als bei uns.“  
Eine Weile haben wir glatt vergessen, weiter zu schnattern. Stattdessen glotzten wir den Mann ganz neugierig an. Wie ein künftiger Bischof hat er nicht ausgeschaut. Eher wie ein einfacher Mensch. Er war auch ganz normal angezogen. Kein Prunk, kein Schmuck, nichts Besonderes. Er hätte auch ein Bauer sein können. Dann sahen wir etwas Merkwürdiges. 

Er faltete seine Hände. So als ob er beten wollte. Er sagte ungefähr folgendes: „Ich will kein Bischof werden. Mir bedeutet dieses Amt nichts. Viel lieber will ich armen Menschen helfen. Das gefällt mir viel besser. Ich will sie unterstützen und für sie da sein.“

Als dieser Mann das sagte, fühlte ich mich traurig. Denn eigentlich, so dachte ich mit meinem viel zu kleinen Gänseverstand, kann er doch viel mehr Menschen helfen, wenn er Bischof ist. 

Weil ich eine dumme Gans bin, sagte ich das sofort zu meinen Geschwistern. Sie fanden das auch. Und weil wir uns einig waren, schnatterten wir ganz laut durcheinander. Wir dachten uns gar nichts dabei. Wir waren nur so aufgeregt. Und weil wir so aufgeregt waren, schnatterten wir immer lauter. 

So laut, dass uns der Bauer hörte. Der wollte eigentlich nur nachschauen, ob der Fuchs schon wieder in unseren Stall eingebrochen war. Dabei fand er Martin. Schnell steckte er seinen Kopf aus unserem Stall und rief den anderen zu, die Martin gesucht hatten: „Hier ist er, kommt schnell her. Hier ist der Martin.“ Dann drängten sich viele Menschen aus unserem Ort in unseren Stall. Sie nahmen Martin in ihre Mitte und redeten ihm gut zu. Denn sie wollten unbedingt, dass er Bischof werden sollte. 

Ich habe gehört, dass sie ihren Willen durchgesetzt haben. Martin wurde Bischof von Tours. Und dann habe ich noch gehört, dass er ein sehr guter Bischof geworden ist. Ich finde das gut, aber ich bin ja auch nur eine dumme Gans. 

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