Artax
war sein ganzes Leben lang ein stolzer Hengst gewesen. Doch nun lag er in
seiner Box, alle Viere von sich gestreckt und röchelte schwerfällig. In der Box
daneben stand ein junges Fohlen, das ihn munter anstubbste: „Du musst ein wenig
Wasser trinken, dann geht es dir wieder besser.“
Aus
wässrigen Augen schaute Artax das Fohlen gutmütig an. Er wusste es besser. Doch
er tat ihm den Gefallen und schlürfte ein wenig Wasser.
Tatsächlich
erholte er sich ein wenig, zumindest so viel, dass er sich wieder aufrichten
konnte.
„Erzähl
mir von deinem Leben!“, bat das neugierige Fohlen.
Artax
schüttelte den Kopf. „Es gibt nichts zu erzählen.“ Aber da erinnerte er sich
wieder. „Doch – ja – eine Geschichte gibt es. Daran werde ich immer denken.
Damals hatte ich einen Herrn von dem möchte ich dir erzählen.
Dieser
Herr – er hieß Martin – war damals noch ein junger, ungestümer Mann. Von
frühester Jugend an wollte er Soldat werden. Deshalb trat er in die Armee ein.
Er war noch nicht mal achtzehn! Aber ein wilder Draufgänger. Er liebte das
Soldatenleben – und er liebte mich. Ja! Wirklich! Er mochte mich so sehr, dass
ich sein ständiger Begleiter wurde. Gleich nach dem Aufstehen sah er nach mir,
brachte mir Futter, umsorgte mich und ritt mit mir aus. Er wusste was sich
gehörte – auch uns Tieren gegenüber.
Bis
spät abends fand er die Zeit, mit mir auszureiten. Vor allem im Frühling und
Sommer hatten wir viel Spaß miteinander. Dann wurde wieder Winter. Es schneite
und es war eiskalt. Obwohl es schon dämmerte, kam er noch mal zu mir, sattelte
mich und ritt wieder mit mir aus. Auch ich war damals jung und mir gefielen
seine schnittigen Ausritte. Kälte hin, oder her. So konnte ich es kaum erwarten
und galoppierte so schnell ich konnte aus der Stadt hinaus. Doch wir waren kaum
draußen, als mich Martin scharf am Zügel riss. Obwohl ich es nicht verstand,
reagierte ich sofort und blieb stehen.
Direkt
vor uns im Schnee lag eine Gestalt, die erschrocken vor sich hin wimmerte.
Sicherlich hatte dieser Mensch Angst, Martin könnte ihm etwas tun. Soldaten
waren in der Bevölkerung nicht gerade beliebt. Man wusste nie, was sie mit
einem anstellten. Ich wusste auch nicht, was Martin vorhatte.
Er
fragte die erbärmliche Gestalt vor uns: „Hast du keinen Platz zum Schlafen?“
Die
Gestalt zitterte. Ich wusste nicht ob vor Angst, oder weil er ganz einfach
fror.
„Nein!“,
stotterte sie endlich.
Spätestens
jetzt wusste Martin, dass er einen Bettler vor sich hatte. Und dann geschah es:
er zog sich seinen Soldatenmantel von den Schultern, nahm sein Schwert und
teilte den Mantel mitten entzwei. Die eine Hälfte reichte er dem Bettler, die
andere wickelte er um sich selbst.
„Nimm
und wickle dich ein. So hast du es wenigstens ein wenig warm.“
Der
Bettler wusste gar nicht, wie ihm geschah. Aber er tat wie ihm befohlen und
wickelte sich ein.
Darauf
wendete er mich und ritt wieder nach Hause. Die Begegnung mit dem Bettler hatte
ihn sichtlich aufgewühlt.
Am
nächsten Tag flüsterte er vor sich hin: „Ich habe von Jesus geträumt!“
Seit
dieser Zeit wirkte er in sich gekehrt. Leider dauerte es nicht lange und er
verließ das Heer. Damals wurde ich von ihm getrennt.“
Bedauernd
schaute Artax das Fohlen an.
„Hast
du nie mehr von ihm gehört“, wollte das kleine Fohlen wissen.
„Doch
schon. Weißt du Martin ist später ein berühmter Mann geworden. Das hat sich bis
zu mir herumgesprochen. Und das kam so: Der Bettler hatte anderen Bettlern
davon erzählt, dass Martin ihn vor dem Erfrieren gerettet hatte und die
wiederum haben es weitererzählt. So wurde Martin überall bekannt und die
Menschen bedrängten ihn und wollten ihn zum Bischof machen. Doch Martin war ein
bescheidener Mensch. Er wollte das gar nicht. Er hielt sich selbst für dieses
Amt gar nicht geeignet. Als die Menschen wieder kamen, um ihn zu fragen,
versteckte er sich vor ihnen im Gänsestall. Aber Gänse sind einfach dumm. Ich
mochte sie noch nie. Sie kapierten nicht, dass Martin sich verstecken wollte.
Die Gänse schnatterten so laut, dass sie seinen Aufenthaltsort damit verrieten.
So wurde Martin am Ende doch noch Bischof. Und alle Leute erzählten, er wäre
ein wunderbarer Bischof geworden.“
Am
Ende dieser Geschichte fühlte sich Artax so gut wie schon lange nicht mehr an
seinen alten Tagen und das Fohlen bewunderte ihn, weil er der Gefährte des
berühmten Bischof Martin gewesen ist.
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