„Maria!“, der Ruf schrillte durch’s ganze Haus und bestimmt hörte man ihn sogar in der Nachbarschaft. Nur das Mädchen, dem der Ruf galt, reagierte nicht darauf. Maria hatte gerade im Garten einen kleinen Vogel entdeckt. Er musste aus dem Nest gefallen sein. Jedenfalls lag er auf dem Boden. Er versuchte zwar heftig, die Flügel zu bewegen, doch es gelang ihm nicht. „Oh weh!“, entfuhr es Maria.
Behutsam nahm sie den Vogel auf, legte ihn auf ein Holzbrett und untersuchte ihn vorsichtig. „Du hast einen gebrochenen Flügel“, diagnostizierte sie.
Maria, die gerade erst zwölf Jahre alt geworden war, spielte wieder mal Tierärztin. Sie suchte nach einem geeigneten Stöckchen und schiente den Flügel. Mit einem kleinen Stückchen Stoff verband sie den Vogel, der jetzt ganz ruhig da lag. Er schien zu wissen, dass ihm von Maria keine Gefahr drohte.
Behutsam trug sie den kleinen verarzteten Findling ins Haus.
„Maria, ich rufe schon die ganze Zeit nach dir!“, beschwerte sich die Mutter, als sie ihre Tochter endlich fand.
„Ich hab dich nicht gehört“, entschuldigte sich das Mädchen.
„Du musst noch Wäsche waschen“, erinnerte die Mutter sie.
Betreten schaute Maria auf. „Hab ich vergessen…“
„Dann aber rasch!“, mahnte die Mutter. „Was hast du da eigentlich?“, setzte sie hinzu.
Maria wollte den kleinen Vogel schnell hinter ihrem Rücken verstecken. Doch zu spät. Die Mutter hatte ihn schon entdeckt.
„Das.. das ist nur ein Vogel.“, stotterte das Mädchen.
Die Mutter nickte. „Das sehe ich. Nur was willst du damit?“
„Er hat sich den Flügel gebrochen. Ich will ihn gesund pflegen!“, ereiferte sich Maria.
„Schon wieder!“, entfuhr es der Mutter. „Hast du nicht erst letzte Woche eine streunende Katze versorgt?“
„Hmmhm!“ Schuldbewusst schluckte Maria. „Aber der Vogel ist noch so klein. Er macht auch bestimmt keine Mühe.“
Die Mutter seufzte. „Na gut. Aber lass es den Vater nicht sehen. Der ist bestimmt nicht begeistert.“
Maria lachte glücklich. „Nein, ich passe schon auf.“
Maria war ein tüchtiges Mädchen. Sie half im Haushalt wo sie nur konnte. Aber sie lernte auch sehr gut.
Inzwischen besuchte sie die naturwisschaftlich-technische Sekundarschule. Ihre Mutter hatte ihr geholfen, dass sie dorthin durfte. Der Vater war eigentlich dagegen gewesen. Mädchen müssen nichts lernen .Das ist glatte Verschwendung, meinte er. Außerdem wurden dort eigentlich nur Buben aufgenommen.
Doch sie wollte es ihm zeigen. Sie lernte tüchtig. Bis jetzt kam sie gut mit. Sie interessierte sich sehr für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Sie wollte später Ingenieurin werden.
Damals war sie noch ein kleines Mädchen. Doch später studierte sie erst Naturwissenschaften, dann Medizin. Sie promovierte 1896 und wurde die erste Ärztin Italiens.
Später übernahm sie die Leitung eines Instituts, an dem Lehrer für Behinderte ausgebildet wurden. Danach studierte sie Pädagogik, Anthropologie und Experimentalpsychologie. Sie eröffnete 1907 das erste Kinderhaus und entwickelte aufgrund ihrer Kenntnisse in der Behindertenarbeit und ihres Studiums eine eigene Pädagogik.
Das von ihr entwickelte Material ist heute nach ihrem Namen benannt und unter dem Begriff Montessori-Material bekannt.
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