Mittwoch, 28. September 2011

Anna und das Nachtgespenst


Eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder:


Anna schaute unter ihr Bett. Nein, stimmt ja gar nicht! Sie wollte unter ihr Bett schauen. Doch vor lauter Angst blieb sie steif unter ihrer Decke liegen, als sei sie mit Superkleber direkt am Spannbettlaken festgeklebt. Sie bibberte und klapperte mit den Zähnen wie im tiefsten Winter, als die Zentralheizung einmal ausgefallen war. Doch jetzt mitten im Hochsommer gab es gar keinen Grund zum Frösteln. Weshalb konnte sie dann ihr Gebiss nicht kontrollieren, sondern schlug andauernd mit den Zähnen aneinander? Es gab einen einfachen Grund dafür, doch den wollte Anna nicht wahrhaben: sie hatte Angst. Aber sie wollte keine Angst haben, nein, nein, sie war ein großes Mädchen. Deshalb wollte sie eigentlich unter ihrem Bett nachschauen… ob sich dort womöglich ein Räuber, oder Schlimmeres versteckt hielt.
Sie hatte beim Zu-Bett-Gehen ein komisches Geräusch gehört. Ein gaaanz komisches. Vielleicht wie… Schritte? Doch Schritte konnten es nicht sein. Das war unmöglich. Niemand konnte unter ihrem Bett herummarschieren. Das sah Anna ein. Vielleicht… Anna stockte der Atem. Jetzt hörte sie es ganz genau: der Räuber hatte sein Messer aus der Scheide gezogen! Sie hörte ein leises, feines Klirren. Das war es also! Das Klirren eines Messers! Wie kam sie dann auf Schritte?? Na ja, … egal. Ein Messer war auch nicht wirklich besser. Der Räuber würde sie erstechen. Und dann in lauter kleine Häppchen schneiden… Iiiih. Ihr war schon schlecht. Einen solchen Gedanken konnte ihr Magen wirklich nicht ertragen! Sie zwang sich etwas anderes zu denken. Ein bärtiges Gesicht mit verwegenem Haarschnitt und Augenklappe zwängte sich vor ihr inneres Auge. Der Räuber! Anna zitterte noch immer! „Mama!“, wollte sie schreien. Doch die Mutter saß unten im Wohnzimmer vor dem Fernseher und sah gerade Aktenzeichen XY. Dadurch fühlte sich Anna auch nicht besser. Mörder gab es wirklich! Nicht nur unter ihrem Bett! Anna schüttelte sich. Die Furcht schnürte ihr den Atem ab. Wiederholte sich das Geräusch? Anna spitzte die Ohren. Aber sie hörte nichts mehr! Wieso sollte sich ein Räuber ausgerechnet unter ihrem Bett verstecken? Und in ihr Zimmer kommen? Bestimmt war es gar kein Räuber – sondern ein Gespenst! Gespenster gingen sogar durch Wände! Sie machten komische Geräusche, wenn es ihnen passte, wie Schritte…, oder Messer wetzen…. Anna konzentrierte sich so stark sie nur konnte. Der Kopf tat ihr schon weh. Da hörte sie es wieder: wie leises Schnarchen… War das Gespenst am Ende eingeschlafen? Wenn das Gespenst schlief, konnte es ihr nichts tun, davon war Anna überzeugt. Langsam fasste sie Mut. Dann werde ich gaanz, gaanz vorsichtig unters Bett schauen. Sie hielt den Atem an, denn sie wollte das Gespenst keinesfalls durch ein unnötiges Geräusch aufwecken und womöglich zum Kampf mit seinem gewetzten Messer herausfordern. Aber das Ausstoßen des eigenen Atems kann ganz schön laut sein. Also hielt sie die Luft an und robbte sich millimeterweise an den Rand des Bettes. Immer darauf bedacht, dass die Bettfedern nicht quietschten. Das war gar nicht so einfach. Deshalb dauerte es auch eine Weile. Außerdem hielt sie das eigene Zittern vom Weiterrobben ab. Denn so ganz hatte Anna ihre Angst noch nicht überwunden. Endlich, endlich kam sie an der Bettkante an. Jetzt musste sie all ihren Mut zusammennehmen und vorsichtig nach unten spähen. Sie kniff die Augen zusammen und steckte ihren Kopf nach unten. Nanu, sie sah ja gar nichts. Ach ja: die Augen – die musste sie jetzt öffnen. Wieder kostete sie das ihren ganzen Mut. Angestrengt starrte sie unter ihr Bett. Da sah sie Mümmel, ihren Zwerghasen. Der war wohl aus seinem Käfig ausgebüxt und hielt es für eine gute Idee, zur Abwechslung mal Gespenst zu spielen! Anna hätte vor lauter Erleichterung ihren Mümmel fast erdrückt. Dann nahm sie ihn und sperrte ihn in seinen Käfig. In dieser Nacht träumte sie von einem flauschigen, weichen Gespenst, das gar nicht unheimlich, oder böse war, sondern sich fügsam von kleinen Mädchen in einen Käfig sperren ließ.


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