Anna, die Mutter von Maria
Es mag ungefähr dreißig, oder vierzig Jahre vor Christi
Geburt gewesen sein, als in Bethlehem ein kleines Kind zur Welt kam. Es war ein
Mädchen und hörte auf den Namen Anna. Ihr Vater war Priester und brachte ihr
alles bei, was in den alten Schriften über Gott den Herrn aufgeschrieben worden
war. Es stand auch viel in diesen Büchern über den Messias, der bald kommen
sollte.
Anna liebte diese Geschichten. Abends saß sie oft mit ihrem
Vater zusammen und bettelte: „Erzähl mir doch vom Messias. Wann kommt er
endlich?“ Da lachte der Vater und nahm sie in die Arme. „Bald, Anna, bald.
Weißt du, der Prophet Jesaja sprach schon vor langer Zeit davon. Jetzt dauert
es nicht mehr lange.“ Seine braunen Augen blitzten dabei verheißungsvoll. Anna
schaute ihrem Vater aufmerksam auf den Mund, der von einem dichten Bart
umwuchert war, so als wollte sie jedes Wort aus ihm heraussaugen. Sie war ganz
begierig darauf, immer wieder vom Messias zu hören. Tief in ihrem Herzen fühlte
sie eine angenehme Spannung. Sie freute sich wie auf eine große Überraschung.
Manchmal konnte sie diese Neugier kaum noch ertragen.
Doch immer wenn es am Schönsten war, kam die Mutter und
brachte sie zu Bett. „Schlaf schön, träum was Wunderbares, meine Kleine“. Die
Mama streichelte ihr über das schwarze Haar und wünschte ihr eine gute Nacht.
Die Eltern glaubten fest daran, dass Gott der Herr bei ihnen
und natürlich auch bei ihrer Tochter war. Sie wussten sich von Gott beschützt
und behütet. Ihren Glauben teilten sie mit ihrer Tochter. Auch für Anna war es
völlig normal, dass sich Gott der Herr um sie kümmerte. Sie gehörte zum Volk
der Israeliten und Gott hatte in langen Jahren immer wieder gezeigt, dass er
der Herr dieses Volkes war. Immerhin hatte er den Israeliten geholfen, als sie
der Pharao von Ägypten zur schweren Arbeit gezwungen hatte. Damals führte er
sie aus der Knechtschaft Ägyptens und danach lange Jahre durch die Wüste bis
hinein ins gelobte Land. Das Volk Israel durfte viele Wunder sehen, obwohl
diese Wunder die Israeliten nicht daran hinderten, immer wieder zu zweifeln.
Auch das wusste Anna. Ihr Vater erklärte ihr es immer wieder: „Die Israeliten
sind ein halsstarriges Volk. Aber Gott wendet sich ihnen immer wieder zu. Er
verlässt uns Israeliten nicht. Deshalb wird der Messias bald kommen.“
In diesem Glauben wuchs Anna auf und wurde langsam groß und
erwachsen. Ihre Eltern sahen, dass sie allmählich zur Frau aufblühte. Damals
war es nicht üblich, dass sich junge Leute selbst einen Ehepartner aussuchten.
Deshalb machten sich ihre Eltern Gedanken über den richtigen Mann für Anna. Der
Vater kannte einen jungen Mann, der genauso wie er selbst gerne in den
Schriften las und gleichzeitig nett und sympathisch war. Er fragte seine Frau wie
sie über diesen jungen Mann dachte und beide einigten sich darauf, den jungen
Mann der Tochter vorzustellen.
Deshalb luden sie Joachim, so hieß der junge Mann, zu sich
nach Hause ein. Anna war sofort begeistert. Ihr gefielen seine ruhige Art,
seine Höflichkeit und auch seine Ansichten über diese Welt. Joachim fand Anna
ebenfalls sympathisch. Deshalb begann er um sie zu werben. Er brachte ihr
kleine Geschenke mit und zeigte ihr, dass sie ihm nicht gleichgültig war. Nicht
lange danach heirateten die beiden.
Joachim war ein Nachkomme des großen Königs David und hatte
damit sehr berühmte Vorfahren. Er stammte also aus einem königlichen
Geschlecht. Heute würden wir sagen: Er
war adelig. Anna und Joachim hatten gemeinsame Interessen. So interessierten
sich beide sehr für die alten Schriften und miteinander flehten sie Gott an,
dass doch bald der Messias kommen möge.
Zur Hochzeit erhielt Anna eine große Mitgift, da sie die
einzige Tochter ihrer Eltern war. Mitgift nannte man damals das, was die Eltern
der Tochter zur Hochzeit schenkten. Das konnten Töpfe und Pfannen sein, aber
auch Äcker und Felder, sowie Geld. Auch
Joachim war nicht unvermögend. Da ihnen beiden sehr viel an ihrem Glauben lag,
beschlossen sie ihr Vermögen in drei Teile aufzuteilen. Einen Teil wollten sie
dem Tempel zur Verfügung stellen, den zweiten Teil verteilten sie unter den
Armen und den Rest brauchten sie zum Leben. Sie wollten Gott dienen. Das war
ihnen sehr wichtig. Deshalb wussten sie, dass dazu auch die Liebe zu den Armen
gehörte und deshalb spendeten sie ihr Geld gerne.
Trotzdem ging es den beiden Ehepartnern nicht wirklich gut.
Denn leider konnte Anna keine Kinder bekommen. Damals galt das als Schande. Die
Leute glaubten, wenn eine Frau keine Kinder bekommen kann, ist sie von Gott
verflucht. Sie vermuteten, dass eine solche Frau eine große Schuld auf sich
geladen hatte und dass sie dafür von Gott bestraft wurde.
Deshalb war Anna sehr traurig. Die anderen aus dem Dorf
mieden sie und redeten heimlich über Anna. Sie hatte immer weniger Freunde. Anna
betete viel und opferte immer wieder. Doch alles schien vergebens. Trotzdem
ließ Anna nicht nach und rang im Gebet mit Gott. Joachim wurde das schließlich
alles zu viel: Die Nachbarn spotteten über die beiden und Gott schwieg sich
aus. Das konnte er nicht länger ertragen. Deshalb verließ er eines Tages seine
Frau Anna und versteckte sich stattdessen in der Wüste. Er glaubte die
Einsamkeit leichter ertragen zu können, als die tägliche Verzweiflung von Anna.
Doch das Leben in der Wüste war hart. Es gab kaum Nahrung und
außerdem brannte die Sonne unbarmherzig vom Himmel. Auch Joachim fühlte sich
verzweifelt. Trotzdem wollte er nicht zurück zu Anna. Eines Tages betete er
wieder. Plötzlich wurde das Licht um ihn noch heller. Geblendet schloss er die
Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, dass ein Engel vor ihm stand.
„Joachim gehe wieder nach Hause. Deine Frau braucht dich. Ja, es stimmt, die
Nachbarn reden. Doch jetzt reden sie auch über dich.“ Joachim erschrak über den
Engel. Es kam ja nicht jeden Tag vor, dass ein Engel erschien. Trotzdem schüttelte
er den Kopf. „Nein ich will nicht.“ Aber der Engel ließ nicht mit sich handeln.
„Darauf kommt es nicht an. Du wirst nach Hause gehen, denn deine Frau soll eine
Tochter bekommen.“
Joachim sperrte Mund und Augen auf. Er wollte etwas sagen,
aber er stotterte nur herum, so perplex war er. Doch bevor er endlich einen Ton
herausbrachte, war der Engel wieder verschwunden.
Doch Joachim hatte seine Lektion gelernt. Er machte sich auf
den Weg nach Hause. Dort versöhnte er sich mit Anna. Tatsächlich wurde sie
endlich schwanger. Und das nach zwanzig Jahren. Niemals hätte Joachim das für
möglich gehalten. Auch Anna wusste, dass dies ein großes Wunder war. Nach
zwanzig Jahren Kinderlosigkeit wurde sie endlich Mutter. Als das Kind zur Welt
kam, nannten Joachim und Anna ihre Tochter Maria. Überglücklich weihten die Eltern
das Kind Gott. Als Maria noch ganz klein war, brachten ihre Eltern sie in den
Tempel.
Leider konnte Anna nicht mehr erleben, was einige Jahre
später geschah. Zuerst starb ihr Mann und wenige Jahre später folgte auch sie.
Anna und Joachim wurden die Großeltern von Jesus Christus, dem Messias.
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